Hattrick-Held Kasperczyk, Kanu-Fahrer Malicek – 6:4-Derbysieg nach 0:3-Rückstand
Händel oder Bach? Saale oder Pleiße? Salzstadt oder Messe-City? Roter Turm oder Völkerschlachtdenkmal? Mittelhochdeutsch gegen sächsisch, Anhalt gegen Sachsen – oder kurz gesagt: Halle gegen Leipzig! Geografisch trennen beide Städte etwa 40 Kilometer, gefühlt jedoch Welten. Sei es im musikalischen, industriellen oder sprachlichen Bereich. Seit jeher verbindet beide Orte eine ganz besondere Verbindung. Auch wenn es eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten gibt – sei es der „Flughafen Leipzig/Halle“ oder die S-Bahn Mitteldeutschland, gemessen an der Länge des Streckennetzes das größte S-Bahn-Netz Deutschlands – so richtig, überspitzt gesagt, mag man „die Anderen“ nicht.
Dies gilt natürlich auch im Sport. Den Derbys kommt eine ganz besondere Bedeutung zu, „verlieren verboten!“, lautet das Motto – da bilden auch die Duelle zwischen Halle und Leipzig keine Ausnahme. Die ersten (nachweisbaren) Vergleiche fanden bereits vor über 90 Jahren statt, so richtig Fahrt nahmen die mitteldeutschen Derbys erst nach der Wende und der (Wieder-)Etablierung des Kufensportes Ende der 1990er auf. Egal ob USV Halle, Saaleteufel, Blue Lions Leipzig, Saale Bulls oder IceFighters – auch wenn sich die Namen änderten, das Prestige blieb immer das Gleiche. Knapp 100-mal trafen beide Nachbarstädte seit Ende des vergangenen Jahrtausends aufeinander und lieferten sich so manch‘ episches Duell, welches Einzug in die jeweiligen Vereinschroniken hielt. Von knappen 1:0-Erfolgen über das bislang einzige in einem Pflichtspiel erzielte 4:4-Unentschieden, von herben 0:8-Klatschen bis hin zu einem 11:3-Kantersieg – das Derby schrieb bislang so manche Geschichte(n).
So wie beim sechsten Duell der 2004 gegründeten Saale Bulls gegen die damals noch existenten Blue Lions Leipzig. Nach zuvor drei Niederlagen, einem Sieg und einem Remis in einem Testspiel trafen beide Mannschaften am 31. Januar 2006 in der alten EissportHalle am Gimritzer Damm aufeinander. Der Lokalsender TV Halle entschied seinerzeit, zum ersten Mal in der Geschichte des Senders das komplette Spiel live zu übertragen, knapp 2.400 Zuschauer wohnten dem Aufeinandertreffen vor Ort in der Halle bei. Alles war angerichtet für ein packendes Regionalliga-Ost-Spiel – doch alle Besucher und anwesenden Gäste mussten nach dem ersten Drittel befürchten, Zeuge eines Debakels zu werden: Nach acht Minuten brachte Hendrik Bärschneider die Sachsen in Überzahl in Führung, sechs Minuten später nutzte Daniel Bartell das zweite Leipziger Powerplay zum zweiten Überzahltreffer und erhöhte auf 2:0 für die Blue Lions. Leipzigs Kapitän Jens Müller baute den Vorsprung seiner Farben noch vor der ersten Sirene auf drei Tore aus und beendet mit diesem Treffer in der 17. Minute den ersten Spielabschnitt. „Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!“ tönte es aus dem Gästefanblock, rund 300 Leipziger Fans waren bislang rundum zufrieden.
Den Bulls drohte eine Blamage. „Man kann verlieren, keine Frage. Man kann auch ein Derby verlieren, keine Frage. Aber nicht an diesem Tag, nicht vor dieser Kulisse.“ Auch wenn die Worte und Ansprachen von Head Coach Jaroslav Stastny oder Kapitän Georgi Kimstatsch in der Kabine nicht überliefert sind, dürften sie sich inhaltlich jedoch an den vorgenannten Aussagen orientieren. Angestachelt von der Stimmung auf den Rängen und mit der Schmach vor den Augen, kamen die Bulls wie verwandelt auf das Eis zurück. Der Puck wurde eingeworfen, die Bulls sicherten sich das erste Bully im zweiten Abschnitt. Und nur 18 Sekunden später brachte der sogenannte „Zwergensturm“ um Torschütze Jedrzej Kasperczyk und den beiden Vorlagengebern Marco Blazyczek und Georgi Kimtstatsch die Hausherren aufs Scoreboard. Etwas mehr als 100 Sekunden später war es erneut ‚Kaspi‘ und seine Reihe, die in Überzahl für den Anschlusstreffer sorgten und das Momentum nun komplett zugunsten der Bulls kippen ließ. Nicht einmal eine Zeigerumdrehung später ließ Kasperczyk seine dritten Treffer folgen, stellte mit seinem lupenreinen Hattrick – aufgestellt binnen 2:44 Minuten und somit der bis heute zweitschnellste der Vereinsgeschichte – die Partie wieder auf Anfang und zog den Löwen die Zähne. In der 26. Minute war es Petr Hruby, der den vierten halleschen Treffer beisteuerte und somit für die erste Bulls-Führung der Partie führte. Auch aus einer fünfminütigen Überzahl kurz darauf konnten die Gäste kein Kapital schlagen, mit einem 4:0-Drittel mit vier Toren bitten 5:19 Minuten hatten die Saale Bulls die Partie gedreht.
Und die Bulls waren noch nicht satt, wollten mehr. Immer mehr. Christian Sohlmann erhöhte im Schlussabschnitt auf 5:3 (49.), Jozef „Beppo“ Malicek machte zweieinhalb Minuten später das halbe Dutzend hallescher Treffer perfekt. Und setzte daraufhin zu einem Torjubel an, der sich bei manchem Besucher bis heute ins Gedächtnis eingebrannt hat und für immer mit diesem Spiel sowie dem Slowaken in Verbindung gebracht wird: Halles Nummer 21 ging auf die Knie, funktionierte seinen Schläger zum Paddel um, imitierte eine Kanufahrt, quer über die gesamte Eisfläche.
Die Stimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht, daran änderte auch der vierte Leipziger Treffer sechs Minuten vor dem Ende zum 6:4-Endstand nichts. Die Saale Bulls verteidigten mit diesem Sieg die Tabellenführung und revanchierten sich eindrucksvoll für die zwei Wochen zuvor erlittene 0:4-Niederlage in der Messestadt. „Ich bin stolz auf mein Team. Das war Moral“, so Bulls-Coach Stastny nach der Partie. „Und Kasperczyk war überragend.“ (Jy)